Der Heidelberger
Komponist und Pianist
Adolf
Gutmann
* 12.01.1819 - † 22.10.1882
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WALTHER EGGERT veröffentlichte 1960, in Mickiewicz-Blätter, nachfolgende Biographie über Adolf Gutmann.
CHOPINS LIEBLINGSSCHÜLER ADOLF GUTMANN
An einem frostigen Februartag 1834 fuhren in der Pariser Rue Chaussee d'Autin zwei Fremde vor, denen es nur unter Schwierigkeiten gelang, dem Pförtner des Hauses den Zweck ihres Besuches zu erklären. Er galt dem hier seit 1833 wohnenden polnischen Emigranten Frédéric Chopin. Auch in Heidelberg, wo die Fremden beheimatet waren, hatte man von seinem Schicksal erfahren; zudem hatte das ,,Journal" über ein Konzert berichtet, das dem gefeierten Pianisten auch in Stuttgart ein bedeutendes Ansehen verschaffen konnte. Chopin freilich mag die unangemeldeten Besucher mit einigem Mißtrauen betrachtet haben. Sie gehörten nicht dem Stand an, aus dem seine Schüler zu kommen pflegten. Der biedere "Bürger, Cafetier und Gastwirt" des Hauses "Zum König von Portugal" in Heidelberg, Johann Georg Gutmann, empfahl sich jedoch durch zwei Schreiben, die der Künstler nicht ohne Anteilnahme las. Hier bat eine ihm von Wien her bekannte Baronin Diller de Pereira um Interesse für den jüngeren der Besucher, den eben fünfzehnjährigen Adolf, und im andern nannte der Leipziger Komponist Robert Schumann diesen als ein der Förderung wertes musikalisches Talent. Es war kühn, Chopin in Paris aufzusuchen. Er unterrichtete keineswegs jeden, der darum bat. Den jungen wohlempfohlenen Gutmann aber hörte Chopin an, doch hielt er sein Spiel nicht für ausreichend, um ihn als Schüler annehmen zu können. Vater Gutmann ließ sich jedoch nicht irre machen und bat, sich eine Improvisation seines Sohnes anzuhören. Dieses Wort berührte Chopin offensichtlich. Dachte er der eigenen Jugend, da sein Lehrer Elsner ihn immer wieder auf die Bedeutung des Improvisierens hingewiesen hatte? In der Tat fand Adolf "Gnade" vor seinen Ohren, und Chopin nahm ihn als Schüler an. Das berichtet auch Hoesieck, der wohl bedeutendste und zuverlässigste der Biographen Chopins (Warszawa 1911, S. 336) der Verfasser war seit 1834 Chefredakteur am "Kurier Warszawski" -: "Da wandte sich Chopin zu Gutmann (dem Vater), indem er dem Jungen auf die Schulter klopfte mit den Worten: ,C'est un genie! Je rappelle mon mot. Votre fils sera mon eleve!'" Mag es sich so oder anders verhaIten haben, es scheint bezeichnend zu sein für Chopins ebenso gütige wie abwägende Art, andererseits aber auch für den Schüler zu sprechen. Befriedigt mag der Vater nach Heidelberg zurückgekehrt sein, um hier am Stammtisch seines renommierten Speiselokals vom ersten Erfolg Adolfs zu sprechen, wohl auch den Vermittlern dieser heiklen Angelegenheit seinen Dank zu schreiben. Als zweites Kind der Ehe Johann Georg Gutmanns mit Katharina Hoffmann aus Bensheim an der Bergstraße war Wilhelm Adolf am 12. Januar 1819 in jenem oben erwähnten Gasthause geboren worden. Noch heute ist das Haus, das ursprünglich zum Besitz der Grafen von Hirschhorn gehörte, nicht zuletzt durch sein repräsentatives barockes Portal, eins der ansehnlichsten Gebäude der mittleren Hauptstraße in Heidelberg, jenem Teil, der sich vom Universitätsplatz zum Markt mit der Heiliggeistkirche und dem Rathaus hinzieht. Auf Seite 202 des "Geborenen und Getauften Registers der ev. ref. Gemeinde zum Heiligen Geist in Heidelberg im Jahr 1819" ist unter der Ziffer 5 die Geburt des Wilhelm Adolf Gutmann verzeichnet, ebenso die Haustaufe am 28. Januar, morgens 10 Uhr. Als Taufpate wird ein Wilhelm Adolf Leonhard genannt, der "ehel. Sohn des Heidelberger Professors der Mineralogie und Bayerischen Geheimen Rats Carl Cäsar Leonhard und seiner Frau Maria Louisa geb. Blum von Hanau", Taufzeugen waren ein "Christoph Werner, Bürger und Saillermeister, und Georg Kern, Bürger und Perückenmacher, Witwer". Der Name Gutmann läßt sich in den standesamtlichen Eintragungen bis ins hohe Mittelalter verfolgen. Fünf Generationen von Knopfmachern wohnten am Schloß, während der Vater seltsamerweise der Gilde der Spänmacher (der Dachdecker) angehörte. Läßt das Gewerbe der väterlichen Ahnen keinen Schluß auf die musikalische Begabung Adolfs zu, so bietet das Ahngut der Mutter vielleicht einen Anhalt. Unter deren Vorfahren befindet sich ein "gewesener Trompeter eines sächsischen Regiments, gebürtig aus Annaberg im sächsischen Erzgebirge". Diese Stadt ist die Wiege zahlreicher Musiker, die wir in ganz Mitteldeutschland, ja, am Rhein finden. Vom fünften Lebensjahr an besuchte Gutmann die kombinierte ev. ref. Schule von Heiliggeist, die wenige Schritte vom elterlichen Hause entfernt am Kornmarkt lag und in der Religion, Deutsche Sprache, Rechnen, Schönschreiben und an einigen Nachmittagen auch Gesang unterrichtet wurde. Auf dieses Fach scheint die Schulordnung besonderen Wert gelegt zu haben, waren doch die Oberkläßler verpflichtet, an Begräbnissen, Hochzeiten und sonstigen Veranstaltungen als Sänger mitzuwirken. Mit neun Jahren wurde der ebenso aufgeweckte wie begabte Junge in die "erste Klasse" (Sexta!) des unter der Leitung eines Professors Wilhelmi stehenden Heidelberger (heutigen "Kurfürst Friedrich") Gymnasiums aufgenommen. Sein Name steht unter Nr. 411828 in dem noch im Schularchiv vorhandenen Schülerverzeichnis. Gutmann besuchte die Schule jedoch nur bis zu den Sommerferien 1829; er schied aus, "um sich der Musik zu widmen". Das war ungewöhnlich. Trotz der zarten Konstitution entwickelte sich Adolf bald zu einern kräftigen Jungen, der an Körpergröße seine Spielkameraden überragte. Später wird man von einem 1,85 m großen "Riesen" sprechen, "der mit den Fäusten eines Preisfechters ein Loch in den Tisch schlagen konnte".
Wo befand sich Gutmann in den Jahren 1829 bis 1834? Natürlich in Heidelberg! Aber wer führte ihn in die Schule des KIavierspiels ein? Sein Gesanglehrer am Gymnasium war ein Kantor Weippert, ein schon etwas bejahrter, aber doch tüchtiger Musiker. Ihn löste Musikdirektor Hetsch ab, der in der Hauptstraße, nicht weit vom "König von Portugal", wohnte und schon vor seiner Berufung ans Gymnasium Musikunterricht, Klavier und Gelge erteilte, späterhin aber geradezu der "Heidelberger Musikpapst" wurde. Er veranstaltete 1834 das erste Heidelberger Musikfest, dem bis 1852 jährliche Veranstaltungen ähnlicher Art und große Choraufführungen folgten. Aber noch ein anderer Name muß genannt werden, der Universitätsprofessor Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840), nicht nur ein ausgezeichneter Jurist, sondern ein vortrefflicher Theoretiker wie Praktiker auf musikalischem Gebiet; hatte er doch 1825 mit seiner Schrift "Über die Reinheit der Tonkunst" Palestrina gehuldigt, und seine allwöchentlich im Hause abgehaltenen Chorübungen über alte Musik versammelten die ganze Heidelberger musikbeflissene Elite. Er verkehrte, wie wir wissen, gern im "König von Portugal", wo er, u. a. mit Leonhard, seinen Abendschoppen trank. Sein Einfluß auf Robert Schumann ist aus dessen Briefen an seine Mutter bekannt; er war es ja, der Schumann von den Pandekten fort zu den Quellen der Musik führte, dieser "herrliche, göttliche Mann, bei dem ich meine genußreichsten Stunden verlebte" (24.2.1830). Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß Adolf Gutmann, der Schumann sicherlich vom Mittagessen im "Portugal" her kannte, dem überall als Klavierspieler bekannten jungen Studenten beim üben lauschte. Auch Schumanns Wohnung befand sich in unmittelbarer Nähe. Das Empfehlungsschreiben an Chopin spricht gewiß für die Bekanntschaft beider. Ob Schumann den Jungen unterrichtete, ließe sich wohl nur aus dessen Tagebüchern feststellen, die heute unerreichbar sind. Daß Gutmann innerhalb von vier Jahren pianistisch so gefördert werden konnte, daß er vor Chopin trotz einiger Bedenken bestehen konnte, mag nicht nur für sein Talent, seinen Fleiß und seine Ausdauer sprechen, sondern auch für das Verständnis des Elternhauses und seiner Freunde.
Gutmann konnte bald Fortschritte nach Hause berichten. Das mag an Chopins "Methode" gelegen haben. Bei Hoesieck lesen wir (S. 346) nach Mikulis Aufzeichnungen, daß er im Lehren unermüdlich war. Seine Übungen seien keine mechanischen Spielereien, sondern von der Intelligenz und dem ganzen Willen des Schülers abhängig. Ein zwanzig bis vierzigmaliges Üben sei gedankenlos und fördere nicht. Sehr eingehend behandelte er die verschiedenen Anschlagsarten, besonders das tonvolle Legato. Als gymnastische Hilfsmittel empfahl er das Ein- und Auswärtsbiegen des Handgelenks, den wiederholten Handgelenkanschlag, das Spannen der Finger, alles jedoch mit der größten Warnung vor Ermüdung. Die Tonleiter ließ er mit großem Ton, möglichst gebunden, sehr langsam und nur stufenweise zum schnelleren Tempo übergehend üben, und zwar mit metronomischer Genauigkeit. In der Zeit seines Krankseins unterrichtete er vom Sofa neben dem Klavier aus, während der Schüler auf einem zweiten Instrument spielte. Sobald ihm etwas nicht gefiel, sprang er auf und spielte die Passage auf seinem Instrument vor. Das strengte ihn mitunter recht an; dann benutzte er reichlich Kölnisches Wasser, sich die Stirn benetzend, und nahm Opiumtropfen auf Zucker. Niemals aber ließ er sich irgend eine Indisposition merken, war stets freundlich im Verkehr und unterhielt sich liebenswürdig, sofern es keinen Grund zur Aufregung gab.
Gutmanns Mitschüler, die gleich ihm für die Stunde 20 frcs zahlten -man legte sie diskret auf den Kaminsims -sind in allen Lebensbeschreibungen Chopins aufgezählt. Bedeutsam aber sind eine Reihe von Äußerungen, die wir der Unterhaltung Chopins mit seinem nach und nach zu dem von ihm bevorzugten
Zögling aufsteigenden Gutmann verdanken, bisher aber, da sie sich nur in der
polnischen Ausgabe Hoesicks finden lassen, in Deutschland unbekannt geblieben sind.
Wichtig sind alle Äußerungen hinsichtlich der Wiedergabe seiner eigenen Kompositionen. Beim Studium des "Cis=moll=Nocturne" sagte Chopin: "Der Mittelsatz, das molto piú lento, ist als Rezitativ zu spielen: Ein Tyrann befiehlt die
beiden ersten Akkorde und die andere Stimme bittet um Gnade". Über die
Etude in cis=moll op.25, Nr.7, in der -mit Niecks zu sprechen- "klassische
Reinheit der Kontur mit dem Duft der Romantik vereint ist", meinte ihr Autor
er habe "in seinem Leben niemals wieder eine ähnliche Melodie geschrieben:
er hob beide Arme und rief aus ,,0 ma patrie"!
Zum Unterricht gehörten auch die Werke anderer Zeitgenossen. Nach Gutman gehörte Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) zu Chopins gern gespielten Komponisten; er liebte auch Franz Schubert, während er eine entschiedene Abneigung gegen Mendelssohn gehabt habe. Das Verhältnis zu Liszt oder
Schumann ist bekannt. Mit Bedauern stellt Hoesieck fest, "daß sich Chopins Lehrmethode, die er Mikuli, der Fürstin Czartoryska, einem Teleffsen, Mathias oder Gutmann vermittelte, zu Chopins Lebzeiten und auch nach seinem Tode gegenüber der Art
Liszts oder Rubinsteins nicht durchzusetzen vermochte. Wanda Landowsk
sage mit Recht: seine Schüler hätten die Methode des Meisters aus dem Grunde
nicht weitergeben können, da der größere Teil der sog. ,großen Welt' angehört
habe, andere -wie Gunsberg, Karoline Hartmann und, Chopins Stolz, der
15jährige Fitset -zu früh gestorben seien und Gutmann, vor großen Konzerttourneen stehend, nach seinem ersten Gastspiel bereits solches Heimweh bekommen habe, daß er stehenden Fußes zu Chopin zurückgekehrt sei. Liszt sagte zwar, daß niemand Chopin so zu spielen verstehe, wie er selber, daß aber beide Meister viel zu verschiedene Temperamente gewesen seien, als daß Liszt eine Chopintradition hätte begründen können. Die Zeit nach Chopin habe nicht
Artisten nötig gehabt, sondern Poeten und Träumer des Klaviers, wie es allein
Chopin gewesen sei".
Gleich den Schülern, die ständig in Chopins näherer Umgebung zu finden waren
-Mikuli, Grzymala, Franchomme- wurde auch Gutmann zu Aufgaben
herangezogen, die ein Vertrautsein mit Chopins Handschrift voraussetzten, um
die Werke vom Autograph auf die Reinschrift zu übertragen und druckfertig zu machen. Aber über solchen Aufgabenkreis hinaus muß sich Gutmann noch unentbehrlich gemacht haben durch treffliche Besorgung von allerlei Aufgaben persönlicher Art. Zwar führt Scharlitt (S. 62) an, daß Gutmann und Franchomme, unabhängig voneinander und bei ganz verschiedenen Gelegenheiten, Niecks gegenüber geäußert hätten: Chopins "alter ego· zu sein -aber Gutmann hat doch nach und nach vor allen andem das volle Vertrauen Chopins gewonnen. Hoesieck erwähnt, daß er u. a. in einer Familienangelegenheit, wobei zugleich geschäftliche Aufträge zu erledigen waren, nach Warschau gereist sei und so auch enge Beziehung zu Chopins Familie anknüpfen konnte. Wiederholt berichtet Chopin in seinen Briefen von Gutmann. So nennen Scharlitt, Niecks, La Mara (wohl nach Liszts Bericht), Leichtentritt, Karasowski, Hoesieck und andere Gutmann übereinstimmend "Chopins Lieblingsschüler", von Dr. Bernhard Stavenow ganz zu schweigen, der 1873 in freundschaftliche Beziehungen zu Gutmann tritt und nach seinem Besuch bei diesem in Florenz daran geht, biographisches Material über ihn und Chopin zu sammeln. Er schrieb eine biographische Skizze über seinen Freund in "Schöne Geister" (Bremen :1879), aus der Niecks manche Einzelheiten über Chopin übernahm, soweit sie nicht von Gesprächen herrühren, die der Schriftsteller auf einer achttägigen Reise durch Tirol Gutmann selbst entlockte. "Leider habe er sich", so gesteht er, "kein Bild von Gutmanns Spiel machen können, da auf den Bergen
keine Klaviere stehen". Es ist gewiß nicht einfach, die vielfach umlaufenden Geschichtchen, Anekdoten und Legenden heute noch in ihrer Wahrheit bloßzulegen -in Bezug auf Gutmann hat sich jetzt jedoch die Anschauung durchgesetzt, daß er glaubhafter ist als viele seiner Zeitgenossen; blieb er doch fünfzehn volle Jahre mit dem Lehrer verbunden. Wahr sind sicherlich alle brieflichen Mitteilungen Chopins. Niemals sind sie gegen Gutmann gerichtet. Mitteilungen anderer aber entbehren nicht selten der Ironie, der Eifersucht oder böswilliger Verleumdung. Man wollte mit ihnen vielleicht weniger den Menschen Gutmann als sein Vaterland treffen; erinnere man sich nur der politisch so verworrenen Zeit der Jahre zwischen 1830 und 1878! So hat jene "Geschichte" die Runde durch alle Biographien gemacht, daß Chopin auf die Frage: "Was tut Gutmann und welche Fortschritte macht er?" geantwortet habe: ,,0, il fait une chocolade tres bonne" -ohne zu bedenken, daß eine ganze Reihe ähnlicher Bonmots vorliegen, die seinen Humor, aber auch die Vieldeutigkeit mancher seiner Äußerungen erweisen. Die "Schokolade" kommt im übrigen bei Chopin noch öfters vor. Alle Enzyklopädien, besonders die französischen, sind, nicht nur im Fall Gutmann, recht unzuverlässig. So läßt die von Fetis Gutmann von deutschen Eltern in Paris geboren werden! Aber auch in Deutschland ironisiert man noch heute Chopins Lieblingsschüler, so Weismann, wenn er schreibt: Gutmann sei nicht viel mehr gewesen, als ein "dreinhauender Durchschnitts Pariser", der von Chopin zärtlich geliebt worden sei, um fortzufahren: "Aber freuen wir uns, daß er einer von denen gewesen ist, die ihn von jener ersten erfolglosen Zeit in die tristere Gegenwart geführt habe", und Scharlitt meint (S.62), sein "Lieblingsschüler Gutmann habe sich wohl in mancher Beziehung dienlich erwiesen, stand aber hinter seinen bei den Kolleginnen Marie de Rozieres und Miß Stirling zurück". Scharlitt müssen wir zugute halten, daß er sich bemühte, Gutmann gerecht zu werden, vor allem, was sein Klavierspiel betrifft. über dieses berichtet der bekannte englische Arzt Dr. Makenzie, daß es sich "noch im Alter durch Schönheit des Tons und einen markanten Anschlag ausgezeichnet habe. Andere wissen von seiner glänzenden Musikalität, seinen hohen pianistischen Fähigkeiten und ausdrucksvollem Spiel" zu berichten. Leider konnte die 1881 bei Ricordi in Florenz erschienene, bei Giuseppe Polverini gedruckte Biographie "Adolf Gutmann" von Giuilo Piccini, in keiner der einschlägigen Musikbibliotheken Italiens ausfindig gemacht werden, während seltsamerweise seine besten Notizen über Gutmann uns die Leipziger "Allgemeine Modenzeitung" in ihrer kulturellen Beilage liefert, in der auch das einzig bekannt gewordene Bild Gutmanns, eine Photographie aus dem Jahre 1879, veröffentlicht wurde. Die erste bekannt gewordene Besprechung über Gutmanns pianistisches Auf. treten finden wir in der "Gazette musicale" Schlesingers vom 24. März 1844: "Herr Gutmann ist ein Pianist von sauberem, vielleicht etwas kühlem Stil. Er hat was man Finger nennt und benutzt sie mit viel Gewandtheit. Seine Spielart erinnet allerdings eher an Thalberg als an den geschickten Lehrer, dem er seine Ausbildung verdankt. Er hat in der von ihm am letzten Montag veranstalteten Soiree bei Erard den Liebhabern des Klaviers viel Freude gemacht. Vor allem fand seine eigene ,Fantaisie' über Karl Maria von Webers "Der Freischütz" große Beachtung und lebhaften Beifall".
In einem von Valentin Alkan am 3. März 1838 gegebenen Konzert hatte Chopin' zusammen mit Zimmermann, Gutmann und Alkan dessen Einrichtung der Beethovenschen A=Dur=Symphonie für acht Hände -allerdings nicht vollständig gespielt, worüber jedoch keine Kritik vorzuliegen scheint.
Daß Chopin Gutmanns Fähigkeiten in hohem Maße schätzte, geht aus der Widmung seines Scherzos cis=moll (op. 39) hervor. Die Dedikation "A son Adolphe Gutmann" spricht für sich selbst. Das Stück ist in Valdemosa a Mallorca entstanden und hat Chopin einige Zeit beschäftigt. Sofern wir Moscheles folgen, ersuchte dieser Chopin nach seiner Rückkehr von der Insel ihm seine neuesten Werke vorzuspielen. Da sich Chopin jedoch dazu zu schwach fühlte, bat er Gutmann durch ein Billet um einen sofortigen Besuch. Das "Hauskonzert" soll nach Moscheles in Gegenwart der Petersburger Gräfin Obreskow, "die uns Künstler en bloc anbetet", stattgefunden haben, nachdem Gutmann das Konzert am Morgen dieses Tages durch Chopin im Manuskript vorgelegt erhielt, es nach "einigen Übungen auswendig spielte" und abends bereits vortrug, während Chopin (das widerspräche aber jener Notiz) selbst seine Sonate mit dem Trauermarsch gespielt haben soll. Die Tatsache als solche mag Veranlassung zur obigen Widmung geworden sein. Das Scherzo gehört zu jenen fünf Arbeiten dieser Gattung, die gleich den Préludes und Nocturnes, den Balladen und Impromptus als "freie Formen" von Chopin erfunden wurden und "nur auf ihn anwendbar sind". Es sind reiche lyrische Eingebungen von einer Vollkommenheit des Ausdrucks, für die man vergeblich nach Vergleichen sucht. Huneker nennt op. 39 "das dramatischste Werk dieser Sammlung": Ich bekenne, daß mich diese glatten Phrasen durchaus nicht kleinlich anmuten, mir vielleicht in den Takten aus fieberhaftem Blick Ironie aufglänzt ein Blick voll rätselhafter und irrefühender Verachtung. Hadows Meinung ist anerkennenswert, er findet das Werk scharf umrissen und von größtem Gleichgewicht. Er bemerkt. ,daß Chopin hier ganze Sätze aus einer einzigen Phrase entwickle oder auch aus zwei sich gegenseitig abwechselnden Phrasen- eine uralte Methode bei polnischen Volksliedern.
Leichtentritt analysiert es folgendermaßen:
Anfang stark modulierend, präludierend, der tonische Dreiklang cis.moll tritt erst nach vierundzwanig Takten zum erstenmal ein, dann aber mit um so größerer Wirkung. Das erste Thema ein energisches staccato Motiv in Oktaven. Das Zweite Thema legato, langgezogene markige Posaunen und Hörnerakkorde; ein prächtiger, ganz neuer Klangeffekt wird dadurch erzielt, daß auf den vom Pedal gehaltenen letzten Akkord der Phrase jedesmal aus der Höhe ein duftiges Gespinst zartester Fäden geworfen wird: aus dem Klavier klingt es wie tausend zarte Stimmen, ein holder Elfenspuk. Das Stück ist eine Phantasie über die beiden genannten Motive. In keinem der anderen Scherzi ist Chopin so sparsam mit themathischem Material. Von besonders prächtiger Wirkung ist im letzten Teil die Rückleitung nach cis-moll. Über einem Orgelpunkt auf Gis schwingt sich in weitem Bogen, immer höher steigend, die Oberstimme. Schwere Akkorde und massige Oktaven am Schluß.
Das Stück ist "presto con fuoco" zu spielen, "resoluto", und ff und pp wechseln, bis das Tempo I wieder erscheint und in stretto=Manier bis zum fff des Schlusses fortgeführt wird. Es erschien im Oktober 1840 bei Breitkopf& Härtel und im Dezember des gleichen Jahres bei Troupenas & Co. in Paris. Auch Niecks II S. 49 spricht von seinem "gereizten, grollenden und grausig höhnischen Ton", der zur Gemütverfassung des Komponisten zur genannten Zeit in Beziehung zu setzen sei. In Heidelberg wurde es zum erstenmaI in einem Symphoniekonzert am 11. Januar 1892 von Vianna da Motta (Lissabon-Berlin) gespielt, ohne daß weder Publikum noch Kritik wußten, welche Beziehungen es zu Gutmanns Heimatort Heidelberg hat. Daß Chopin auch die 1847 entstandene Sonate für Klavier und Violoncello (op.65) Gutmann widmete, ist von allen Biographen übersehen worden. Die Widmung Widerlegt alle Behauptungen, die von einer Verstimmnung Chopins mit Gutmann um jene Zeit wissen wollen. Das Einvernehmen zwischen Chopin und Gutmann erhielt schon im zweiten Jahres ihres Zusammenseins eine auch für die Beurteilung des Guhnannsmen Charakters wesentliche Bestätigung. Nachdem sich Chopin auf der Rückreise von Österreich befand, traf er anfangs Oktober 1835 in Leipzig ein. Robert Schumanns "Neue Zeitschrift für Musik" teilte dies ihren Lesern am 6. Oktober mit, indem sie schrieb: "Chopin war hier, aber nur wenige Stunden, die er in engerem Zirkel zubrachte; er spielt genau so wie er komponiert, nämlich einzig". In einem Brief an Clara Wieck wiederholt Schumann am 20. Oktober 1835 in überschwenglicher Weise diese Mitteilung: "Ich sah ihn und FIorestan (d. i. Schumann selbst!) Arm in Arm mehr schweben als gehen, sprach nicht mit ihm, fuhr ordentlich zusammen bei dem Gedanken."
Ziemlich erschöpft kam Chopin wenige Tage später in Heidelberg an, um im "König von Portugal" abzusteigen. Es bestand ein zweifacher Anlaß zu diesem Besuch: einmal die Absicht, die Eltern Gutmanns zu begrüßen und seine ganze Familie kennen zu lernen, andererseits die Baronin Diller de Pereira wiederzusehen, die er in Wien einst verehrt hatte. Hierzu kam, daß sich Chopin wie Hoesieck berichtet, "einige Tage in Heidelbergs schöner Atmosphäre von den Leipziger Strapazen zu erholen gedachte". Aus den zwei oder drei Tagen wurden jedoch vierzehn, da Chopins labile Gesundheit eine baldige Weiterreise verhinderte.
Katharina von Diller, von ihrer Schwester Maria begleitet, wohnte um jene Zeit in Heidelberg. Schon im Hause der Eltern, in dem Chopin spielte muß sie von einer großen Leidenschaft zu dem "interessanten" polnischen Musiker ergriffen worden sein. Das kam auch in einer Reihe von Briefen zum Ausdruck. Leider ist nur ein einziger erhalten und befindet sich nach Mitteilug der "Towarzystwo im "Fryderyka Chopina" in Warschau in der dortigen Nationalbibliothek, datiert vom 6. August 1841 und in französischer Sprache geschrieben. Chopin dedizierte ihr sein nach einer Lithographie von Engelmann nach Wignerows Original angefertigtes Porträt, das sich in der Sammlung Andre Meyer in Paris 17-148 B-d Malherbes befindet. Katharinas Ehe mit Pereira scheint nicht glücklich gewesen zu sein; auch ihre Gesundheit war angegriffen. Trotz ihres leidenden Zustandes pflegte sie aber den von der Reise ermüdeten Chopin mit hingebender Sorgfalt. Hoesieck muß Einblick in Katharinas Briefe gehabt haben; sonst könnte er wohl nicht schreiben: Zum Glück fanden sich hier zwei wahrhafte Pflegeengel ein. Katharina bat ihn zu bleiben und sie zu trösten, um ihr wenigstens etwas Freude und Vergnügen zu bereiten. Sie wiederholte diese Bitte immer wieder, um schließlich zu flehen, wenigs noch zwei Tage zuzugeben, endlich noch einen Tag. Dieser Bitte schloß sich auch ihre Schwester an; ihm nahe zu sein, sei der einzige Trost in der traurigen Zeit. Die Beziehungen zwischen Chopin und Katharina beruhten wohl auf nichts anderem als der Bewunderung des Künstlers durch die Frau. Wir können uns hierbei auf ein Gespräch Chopins mit Mickiewicz über sein Verhältnis zu Jenny Lind beziehen. Mickiewicz fragte (nach Hoesieck) : "Liebe oder Freundschaft? Und Chopin beteuerte unzweideutig: nur -wenn auch tiefste -Freundschaft." Außer mit den Damen Diller, die ihn wahrhaft schwesterlich betreuten, stand Chopin in Heidelberg in vertrautem Verkehr mit Gutmanns. Er wurde von ihnen "wie ein Fürst, ja, wie ein König empfangen". Wenn aber Hoesieck schreibt, "daß die Kinder von Gutmanns Schwester, die die Hausfrauenpflichten übernommen hatte, auf Chopin zu blicken schienen, als sei er der einzige Künstler auf der Welt", so beruht dies auf einem Irrtum. Gutmann besaß 1835 eine Schwester und einen Bruder, die damals 15 und 12 Jahre alt waren, nur sie können also mit den "Kindern" gemeint sein. Beider Mutter, die am 9. Dezember 1783 geboren war und "voller Verehrung" auf Chopin blickte, "so daß er ihnen allen als eine poetische Erscheinung ihrer Jugendzeit in Erinnerung blieb", befand sich im fünfzigsten Lebensjahre. Hoesieck schließt dieses Kapitel: "Nach längerer Erholung in dem so zauberhaften Heidelberg nahm er Abschied von allen und begab sich nach Paris." Die Zeitungen schrieben am 25.0ktober: "Herr Chopin, einer der begabtesten Pianisten unserer Zeit, kehrte von einer längeren Reise durch Deutschland zurück." Sollte der Ankunftstag etwa der 23. Oktober gewesen sein, so muß sich Chopin vom 6.-20. Oktober, also rund 14 Tage, in Heidelberg aufgehalten haben.
Es besteht kaum ein Zweifel an der Annahme, daß er auch im Herbst des folgenden Jahres von Leipzig aus wiederum Heidelberg aufsuchte.
Gutmann stellte sich im Jahre 1844 zum erstenmal in Paris auch als Komponist vor. Der musikalische Gesamtkatalog von Patschdirek (Wien) enthält sein Werkverzeichnis, das genau 60 Nummern umfaßt. Nicht gedruckt sind die Jugendwerke op. 1 bis 5. Als Op. 6 erschien im Leipziger Verlag von Hofmeister eine Oberon=Phantasie, die später auch von anderen Verlagen nachgedruckt wurde. Die uns schon bekannte "Grande Fantaisie" über den "Freischütz" schloß sich als 0p.7 an. Beide Werke scheinen Gutmann mit einem Schlage berühmt gemacht zu haben. Auch kommt ihm das Verdienst zu, mit dieser Paraphrase den in Paris bis dahin nur als Opernkomponist bekannten Weber in den Konzertsaal eingeführt zu haben. Nocturnes, Mazurkas, Marches, Etudes de Concert, Ballades, ein Bolero und ähnliche, zumeist wohl auf Chopins Anregung zurückzuführende Werke machen den wertvolleren Teil der Gutmannschen Kompositionen aus. Eine andere Art, und zwar über die Hälfte seiner Werke, ist dem Genre der Salonmusik zuzuzählen. Sie endete in jener Richtung, die die "gute Stube" des bürgerlichen Hauses am Ende des Jahrhunderts vor allem dort beherrschte, wo das Klavier als Hausinstrument sein unveräußerliches Recht besaß. Mögen wir dieser Epoche mit einem gelinden Schrecken gedenken -den Zeitgenossen galten auch Gutmanns Kompositionen als Ausdruck einer musikalischen, erst später belächelten Gefühlsseligkeit. Der Plüsch- und Polstersesselmode der Epoche entsprachen derartige "Schöpfungen" mit den bezeichnenden Titeln "La Melancholie", "La Desiree", "Les Saisons", "L'Etoile", "Die Friedrichsmärsche", "Notturno grazioso", "Les danses des Sylphes", "Coquette, pensee musicale", "Le Tourbillon galop brillant", "L'Elegante, valse" u. a, mehr. Alle bekannteren Verleger rissen sich um solche Kompositionen: der Franzose Lemoine, die Italiener Riccordi und Mariani, die Engländer Gordon und Forsyth, die Deutschen Hofmeister, Hansen und Fischer. Diese Werke besitzen heute nur noch "historischen" Wert oder gehören einer verstaubten Museumsabteilung an -ausgenommen vielleicht die "Tarantelle", das meistgespielte Werk Gutmanns. Übrigens zeichnen sich alle diese Werke durch einen nicht alltäglichen Schwierigkeitsgrad aus, ein Beweis dafür, daß ihr Komponist über höchste pianistische Fertigkeiten verfügte. Was die Zeitgenossen von dieser Art Musik dachten, lassen die Feuilletons und nicht zuletzt die Verlagsanzeigen erkennen, die sich in ihren Anpreisungen höchster Töne bedienen. Chopins Kritiker stehen der kompositorischen Befähigung Gutmanns freilich mit einiger Zurückhaltung gegenüber.
Das gute Einvernehmen beider hielt auch während der Beziehungen Chopins zu George Sand an, wenn es auch durch die oftmaligen Abwesenheiten beider von Paris beeinträchtigt wurde. Die Sand gewährte erst nach gründlicher Überprüfung der Gutmannschen Eigenschaften diesem den Zutritt zu ihrem Hause und damit wieder zu Chopin. Bewährt in der Erledigung persönlicher Wünsche durfte Gutmann, dem es nie an Geld mangelte, neben dem Pianofortefabrikanten Pleyel nach Mallorca kommen. Wie gern oder ungern George Sand ihn später an Chopins Krankenbett duldete, ist nicht leicht festzustellen. Was sie aber im zwanzigsten Band ihrer Memoiren über Gutmann schreibt, ist für diesen mehr als schmeichelhaft: "II etait son plus parfait eleve, aujourd'hui un veritable maltre lui=meme, un noble coeur toujours." Es sind mütterliche Gefühle, die sie "für das Kind" hegt, wie sie Gutmann zu bezeichnen pflegte; für seine Besorgtheit um des Freundes Befinden hat sie Worte fast zärtlicher Anerkennung, wie sich aus einem weiteren Brief vom:12. Mai 1847 aus Nohant ergibt, in dem sie in enthusiastischen Worten für seine bewundernswerte Sorge und die Aufrichtigkeit seiner Gefühle dankt, um zu schließen: "A revoir donc bientüt, mon eher enfant, et recevez rna benediktion maternelle. Puisse=t'elle vous porter bonheur celle je le souhaite!" Von Chopins Hand sind uns zwei Briefe an seinen Lieblingsschüler erhalten ein nur bescheidener Rest der Vielzahl von Korrespondenzen zwischen Lehrer und Schüler. Sie finden sich in Scharlitts Briefsammlung (S.139 und 152) und sind am 6. Mai und 16. Oktober aus London und Calder House geschrieben wohin ihn gute Wünsche, vielleicht sogar bestimmte Pläne der Freunde begleiteten. Es handelt sich um reizvolle Schilderungen seiner Erlebnisse bei Grafen und Herzögen, im Theater und auf Soireen, und gewinnen für uns ihre Bedeutung durch die Wärme, mit der sie abgefaßt sind. Diese Herzlichkeit erstreckt. sich nicht nur auf den Freund, sondern auch auf seine Familie. Er schreibt:
Was tust Du? Wie geht es den Deinen? Deinem Vaterlande? Deiner Kunst? Ich habe viel an Dich gedacht und als ich kürzlich las, daß in Heidelberg Unruhen stattgefunden haben -im "Revolutionsjahr" 1848! (Egg.)- machte ich, um Dir eine Zeile zu schicken, etwa dreißig Entwürfe, die aber zuletzt alle ins Feuer wanderten. Dieses Blatt wird Dich vielleicht erreichen und Dich glücklich in Gesellschaft Deiner Mutter finden ... Sage ihr meine Grüße und meine besten Wünsche für Euer aller Glück!
Es erscheint nach diesem Brief nicht ausgeschlossen, daß sich Gutmann um diese Zeit in Heidelberg aufhielt -oder besuchte ihn die Mutter in Paris? Es mag das letzte Zusammensein mit ihr gewesen sein. Sie starb im selben Jahr, den Vater hatte Gutmann bereits am 9. März 1837 verloren. Wenn wir erfahren wollen, welche Anteilnahme der Schüler am Befinden des ihm so vertrauten Lehrers nahm, dürfen wir uns auch hier auf Chopins Briefe an seine Angehörigen beziehen. Hoesieck erwähnt einen Brief vom 19. April 1847: "Zu den häufigsten Besuchern gehört Gutmann", oder (S. 64): "Heute, 17. April, erwachte ich um 7 Uhr. Mein Schüler Gutmann kam mich zu erinnern daß ich seinen Abend nicht vergessen möge." Das spricht für ein wahrhaft herzliches Verhältnis, was ja auch durch viele andere Kleinigkeiten bestätigt wird, wie jene Anekdote, die Karasowski berichtet: Chopin bestellte sich, wenn er öffentlich auftreten sollte, bei verschiedenen Schneidern Fräcke, die er alle anprobte, stets jedoch etwas daran auszusetzen fand, bis er im letzten Augenblick in den Frack seines Schülers Gutmann schlüpfte, der ihm allerdings viel zu weit war.
Sowohl von Grzymala wie Gutmann wurde George Sand nach ihrer Trennung von Chopin regelmäßig über dessen Gesundheitszustand unterrichtet- beide
unabhängig voneinander (Hoesieck S. 71). Ihre Trennung vom Freunde schiebt sie wohl nicht ohne Grund auf "böse wie gute Herzen", die sich ungeschickt benahmen -"Gutmann aber war nicht in Paris", fügt sie, ihn wohl von Vorwürfen reinigend, hinzu. übrigens speiste Chopin auch damals fast stets mit Gutmann oder Grzymala zusammen (Hoesieck I S. 6) wie er es zu Zeiten der
Freundschaft mit George Sand in deren Abwesenheit getan hatte, wenn er statt
bei Madame Marliani "in der Stadt" aß.
Über die letzten Wochen seiner Krankheit berichten Scharliu und andere, daß
Chopin nichts mehr erfreuen konnte, als wenn Gutmann erschien und sich ans
Klavier setzte:
Er durfte dann dem im Lehnstuhl Sitzenden oder im Bett Liegenden vorspielen, vornehmIich seine eigenen Kompositionen, die Gutmann vortrefflich wiederzugeben verstand, aber auch Mozart und Beethoven . .. Mehr als auf alle Ärzte, die ihm nicht
mehr helfen konnten, verließ sich Chopin auf seine allernächsten Freunde, vor allem
Grzymala, Franchomme und Gutmann. Alle gaben sich die größte Mühe, ihn nicht
allein zu lassen. Sobald es ihm einmal besser ging, fuhr er, oft von Gutmann begleitet, zu seinen Freunden, zur Gräfin Delfina, zur Fürstin Czartoryska, zur Potocka und
zu Mickiewicz. Er konnte ja nicht ohne Gesellschaft leben; die Abende verbrachte er
nie allein zu Hause, wenn er nicht bei Bekannten war; denn überall, war er gern
gesehen und ein vorzüglicher Gesellschafter. Am liebsten waren ihm unter den Franzosen Franchomme, Pleyel, Delacroix, Graf Custine und Janine. Unter Engländern
fühlte er sich stets etwas gezwungen, hatte unter ihnen jedoch manche Freunde und
Freundinnen (wir denken an Miß Stirling, obwohl er nie daran gedacht hatte, sie
zu heiraten _ "eher heirate ich den Tod" -soll er zu Gutmann geäußert haben!) Gegen die Deutschen, so hieß es, habe Chopin eine Abneigung gehabt. So gibt es jeden
falls Niecks an und beruft sich dabei auf Mitteilungen Gutmanns .. . Das ist wenig
glaubhaft. Man bedenke, wie viele allerbeste Freunde er gerade unter den Deutschen
gehabt habe -wobei wir nicht nur an Gutmann, Hiller, Heine oder Stockhausen zu
denken brauchen; im Hause Albrecht war er sogar Taufpate, und seine besten Schülerinnen waren Deutsche: Karoline Hartmann, Friederike Müller. Gegenüber vierzehn polnischen und zwölf französischen Freunden widmete er nicht weniger als
einundzwanzig Werke Deutschen, und Fräulein Müller gegenüber soll er verschiedentlich seine Vorliebe für die deutsche Sprache, Literatur und Musik betont haben.
Während man lange Zeit den Angaben der Familie Chopin Glauben schenkte,
daß Gutmann erst im letzten Augenblick an das Bett des sterbenden Chopin
gerufen oder geeilt sei, auch zweifelte, daß er dessen Tod miterlebt habe, bekennen sich alle derzeitigen Biographen wieder zu der von Liszt und anderen
verbreiteten Tatsache, daß Chopin in Gutmanns Armen gestorben sei (vgI.
Dr. J. Schucht, Fr. Chopin und seine Werke bei Kahnt, Leipzig): "Chopin neigte
sein Haupt, um Gutmanns Hand zu küssen und hauchte in einem letzten Beweis von Freundschaft und Dankbarkeit seine Seele aus. Liebend starb er, wie
sein Leben Liebe gewesen war". Ob er, als er den Todesengel heranschweben fühlte,
zu Gutmann geäußert habe: J'entre en agonie, ob er aus Gutmanns Hand den letzten Tropfen Wasser entgegennahm -das Glas, das Chopin benutzte, befindet sich, von Gutmanns Neffen gestiftet, im Warschauer Chopin Museum ist letztlich belanglos. Sicherlich ist das von Bartais entworfene Bild "am Sterbebette Chopins", auf dem sich im Hintergrund auch Gutmann befindet, ein reines Phantasieprodukt -aber daß Gutmann neben Franchomme Grzymala und Delacroix die Zipfel des Bahrtuchs beim Leichenbegängnis trug, ist nicht zu bezweifeln. übrigens besaß dieser zwei Porträts des Freundes, beides Bleistiftzeichnungen, deren eine am 2. Mai 1847 von Franz Winterhalter gezeichnet war, während das von Albert Graefe festgehaltene letzte Bild Chopins (auf dem Totenbette) vom 19. Oktober der schlüssigste Beweis für das Verhältnis Gutmanns zu seinem "Herrn und Meister" sein dürfte. Beide Bilder befinden sich im Chopin-Museum. Ausdrücklich bekennt sich auch eine der jüngsten Biographien, die von Jaroslaw Iwaszkiewicz (Berlin 1958), zu der von Hoesieck überlieferten Schilderung von Chopins letzten Tagen. Er bezieht sich dabei auf den unlängst aufgefundenen Brief Grzymalas an Leo, in dem dieser die Aussagen Gutmanns bestätigt, daß "Chopin starb, während er Gutmann küßte und sich bemühte, Mde. Clesinger zu umarmen." Gutmann selbst schilderte in einem Brief an die ihm von Paris her bekannte Kathinka Heinefetter, die, eine der bedeutendsten Sängerinnen der Zeit, damals in Mannheim am Nationaltheater gastierte, Chopins Tod. Bis kurz nach dem Französisch=Deutschen Krieg, den er in Paris erlebte, finde wir den inzwischen von der Akademie zum Professor ernannten Adolf Gutmann in der Seinestadt. Sein langer Aufenthalt fern der Heimat und ohne rechte Beziehungen zu seinem Vaterlande hatten ihn ganz in weltbürgerliche Verhältnisse hineinwachsen lassen, so daß er hier, wo er als Chopin=Schüler Lehrer und Komponist lebte, Deutschland ziemlich entfremdet war. Gutmann kam verschiedentlich auch mit Richard Wagner zusammen und wurde im Jahre 1861 in Paris Zeuge des berüchtigten "Tannhäuser"=Skandals. Die Nachkriegverhältnisse in Paris sprachen ihn ebensowenig an wie die in Deutschland. So siedelte Gutmann nach Florenz über, erwarb hier in der Viale Petrarca ein herrlich gelegenes Anwesen. Er wohnte dort bis zum Jahre 1880. Als Chopins Meisterschüler scheint er auch in Italien viele Anhänger und Schüler gefunden zu haben. Daneben müssen seine Kompositionen so großen Erfolg gehabt haben, daß er sich ein "Leben in Schönheit", fast möchte man sagen, ein "dolce far niente" gönnen konnte. Seine letzten Lebensjahre waren nicht nur frei von wirtschaftlichen Sorgen und Nöten, ganz im Gegensatz zu denen seines Lehrers, sondern in jeder Beziehung gesichert; er, ein Grandseigneur, konnte von seinem Kapital zehren. Im übrigen scheint er sich später nur noch wenig mit Musik beschäftigt zu haben; ging doch durch alle Zeitunungen eine Notiz, "daß sich Gutmann einer neuen Kunst verschrieben" -d. h. eine alte, gelegentlich schon in Paris ausgeübte Beschäftigung wieder aufgegriffen habe: die Malerei auf Seide und Samt mit Ölfarben. Nach Deutschland scheint Gutmann in all den Jahren kaum, vielleicht nur noch einmal, gekommen zu sein, und zwar nach Bad Ems, um sich hier einer Badekur zu unterziehen. Dorthin begleiteten ihn Dunki und der Sohn seines Bruders Heinrich, Gustav Gutmann, der einzige, mit dem er nach dem Tode der Eltern und Schwestern noch in Verbindung geblieben war. In der Emser Kurliste fanden wir unter dem 24. Juni 1874 den Eintrag: "Ein Herr Gutmann aus Florenz mit Neffen". Sie nahmen Wohnung im Hotel Reuterund blieben bis zum
22. Juli. Dieser Aufenthalt erhielt eine aktuelle Note durch das 'Wiederauftreten des "Pianisten" Gutmann anläßlich einer Abendgesellschaft im Kurhause, und zwar "in den im Mittelbau gelegenen Räumen der Gräfin von Fürstenberg-Herdingen aus Westfalen, die hier fünf Appartements belegt hatte". Der prominenteste Teilnehmer dieser Soiree war der Deutsche Kaiser Wilhelm I" der sich vom 17. Juni bis 8. Juli ebenfalls in Ems aufhielt. Da der Künstler, wie Stavenow berichtet, keinen Frack im Koffer hatte, glaubte er, seine Mitwirkung am Konzert aus Gründen der Etikette zunächst ablehnen zu müssen. Als der Kaiser dies erfuhr, befahl er für alle männlichen Teilnehmer den Überrock. Gutmann spielte auf Wunsch des alten Kaisers, dem als Prinzen von Preußen in England Chopin vorgestellt worden war, zunächst mehrere Kompositionen des Meisters und zum Schluß seine eigene Tarantella, die dem Monarchen so gefiel, daß sie der Komponist zweimal wiederholen mußte. Als Einlage in das Programm las Stavenow aus eigenen Werken. Daß Gutmann schon in Paris im Wohlstand lebte, ergibt sich aus einer Reise, die er im Jahre 1866 nach Ägypten unternahm. Sie führte ihn weiter nach Nubien und an den Suezkanal. Der Erbauer des Kanals, Ferdinand von Lesseps, und dessen Schwiegertochter, eine Gräfin Clairembaut -beide ihm von Paris her bekannt -hatte ihn dazu eingeladen. Unterwegs wurde ihm die Ehre zuteil, vom "Türkischen Pascha der öffentlichen Arbeiten" begrüßt zu werden, der ihn einlud, ihn bis nach Port Said zu begleiten. Von hier aus besuchte Gutmann noch Syrien und Palästina, durchstreifte kreuz und quer hoch zu Roß diese Länder und gelangte über Italien und die Schweiz rechtzeitig zur Eröffnung der Weltausstellung wieder am Seineufer an. Das auf dieser Reise sorgfältig geführte Tagebuch ist leider verlorengegangen, die mitgebrachten Kunstgegenstände aber füllten seine Villa bis unter das Dach und wurden auch nach Spezia mitgenommen, wohin er im Jahre 1880 übersiedelte. Am 22. Oktober 1882 starb Gutmann hier und fand auch in Spezia seine Ruhestätte in einem der Tumulanten auf dem Cimitero Urbano dei Boschetti (Area gialla n. 691.) "auf Veranlassung eines gewissen Gustavo Gutmann am 24. Oktober 1882".
Wie stellt sich uns nun Gutmanns Persönlichkeit dar? Äußerlich war er eine imposante, fast robuste Erscheinung, der sämtliche Schüler Chopins um Haupteslänge überragte. Sein Bild läßt einen freundlichen, gemütvollen Gesichtsausdruck erkennen. Kräftiges, gescheitelt getragenes dunkles Haar und ein die Oberlippe und die Backenpartien bedeckender, fast martialisch wirkender Bart mag ihm ein auffallendes Aussehen gegeben haben. Große, von buschigen Augenbrauen überdeckte Augen, eine auffallend hohe Stirn, eine gutgeformte kräftige Nase und echte "Musikerohren" vervollständigten sein Erscheinungsbild. Sein Wesen hat keiner besser gekennzeichnet als George Sand. Ihr Urteil wird von den Biographen nicht bestritten. Stavenow nennt ihn "einen der zuverlässigsten Menschen, den er kennen gelernt habe". solche Charaktereigenschaft bewährte sich nicht nur dem gesunden, sondern auch dem sich in seinem Schaffen verzehrenden Chopin gegenüber, so vor allem in der Betreuung des leidenden Freundes. Karasowski berichtet: "Chopin fragte unablässig: ,Wie befindet sich Gutmann? Ist er nicht sehr müde? Strengt es ihn nicht zu sehr an? Ich möchte ihn nicht plagen, und doch möchte ich keinen anderen um mich haben!" Auch Liszt spricht von "rührender Ausdauer, ja schier übermenschlicher Verläßlichkeit" (Niecks), mit der sich Gutmann, wohl der kräftigste und Widerstandsfähigste aller Chopin pflegenden Freunde, als Samariter betätigte.
Die Nachwelt hat Gutmanns Bedeutung wohl richtig beurteilt, wenn sie mit Groves "Dictionary of Music and Musicans" (London 1954) feststellt:
He was a successfuII personner and a profilic composer of pianoforte music of an
ephemeraI kind. The most valuable of his compositions is a set of ten Etudes charateristicals. His chief claim to be remembered rests on his having been a pupil and intimate friend of Chopin.
Mag sich Gutmann als Musiker auch nicht mit Chopin messen können: durch Chopin war er doch immer wieder vom Hauch des Einmaligen berührt.